Essen mit Ausblick: Gespeist wird in Athen gerne mit Ausblick auf das Wahrzeichen, die Akropolis – so wie hier im »Orizontes«.

Essen mit Ausblick: Gespeist wird in Athen gerne mit Ausblick auf das Wahrzeichen, die Akropolis – so wie hier im »Orizontes«.
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Kulinarisch hoch hinaus: Ein Streifzug durch die Spitzengastronomie in Athen

In Athen kochen Spitzengastronomen gegen den zweifelhaften Ruf der griechischen Kulinarik an. Sie kreieren mit viel Charme eine moderne Küche jenseits der Tavernenromantik, die ihre Wurzeln dennoch nicht verleugnet.

Oft sind es nur wenige Schritte in eine ungeahnte Richtung, die es braucht, um Großes zu entdecken. In Athen stimmt das ganz besonders. Wer als Gourmet in der Innenstadt der griechischen 3,8-Millionen-Einwohner-Metropole fündig werden will, der tut das meist abseits des pulsierenden Nachtlebens.

Während sich am Fuße der Akropolis eine Taverne an die andere reiht und bis in die späten Abendstunden Gyros und Tsatsiki über die Tresen gereicht werden, versteckt sich die Spitzengastronomie Athens gar nicht so selten hinter unscheinbaren Fassaden. Die Kulinarik beginnt hier oft im Hinterhof. Oder: im wunderschönen Innenhof.

Das »CTC – Urban Gastronomy« ist ­eines der besten Beispiele dafür. Wer den Weg von der belebten Plaka in das Viertel Keramikos wagt, landet auf der Suche nach dem Spitzenrestaurant vor einer auf den ersten Blick unscheinbaren rostroten Fassade. Erst wenn sich die kleine Eingangstür öffnet, ist der Blick frei: auf den malerischen, grünen Innenhof, in dem im Sommer serviert wird. Und auf die kleine Treppe, die ins Innere des Restaurants führt. Dort regiert dann optisch noble, fast nordische Reduziertheit. Mit dem, was man gemeinhin mit griechischer Kulinarik verbindet, hat das hier nichts zu tun. Oder etwa doch?

Griechenland hatte lange Zeit (und wohl noch bis heute) kulinarisch nicht den besten Ruf. Ehrlich und authentisch ist die Küche hier, wirklich fein aber nicht, dafür sind die Klassiker wie Moussaka, Tsatsiki und Gyros zu fettig, zu wuchtig, zu grob. So das (Vor-)Urteil von Gourmets. Das stimmt (die Tavernenküche lebt bis heute von den teils ungestümen Aromen) – und es stimmt auch wieder nicht.

Bereits seit einigen Jahren sind ­junge Gastronomen bemüht, das Image des Landes zu korrigieren und eine innovative und anspruchsvolle Küche zu etablieren. Für einige Zeit galt das »Funky Gourmet« als Weltstadtlokal, Vorreiter und Flaggschiff dieser Entwicklung, heute haben sich ­andere dazugesellt. Im Jahr 2019 erkochten sich fünf Restaurants einen Michelin-Stern, seither kommen immer neue hinzu, erst im Vorjahr drei weitere. 

Kulinarisches Erbe

Was so manchen aus der Garde der jungen Kreativen gemein ist: Sie kehren in ihrem Bestreben um Modernität den griechischen Traditionen nicht den Rücken, sondern versuchen sich in der Interpretation des kulinarischen Erbes und experimentieren mit klassischen Zutaten (etwa der allgegenwärtigen Spalterbse Fava, die in der Taverne fast schon zwanghaft als Dip gereicht wird). 

Einer von ihnen ist Alexandros Tsiotinis, was uns zurück ins »CTC« führt, dessen Inhaber und Chefkoch er ist. Der Name des sternegekrönten Restaurants legt nahe, dass man die Nase hier nicht unnötig hoch trägt. Das Akronym bedeutet (griechisch »sitisi« ausgesprochen) wörtlich »füttern«.

Was Tsiotinis in seinem elfgängigen Degustationsmenü auf die Teller bringt, ist dann (für Gaumen und Auge) beeindruckend. Typisch griechische Aromen und Zutaten mit so viel Finesse präsentiert, das ist selten. Der Fava-Oktopus etwa kommt ohne Oktopus aus – der Tentakel am Teller ist schlichtweg eine Fava-Pannacotta –, nicht aber ohne Aal, Muskattrauben und Aioli-Mayonnaise. Aus Bohnen von der Insel Limnos kreiert er wenig später einen feinen Eintopf, der gekonnt die Brücke zwischen klassisch griechischem Bohnengericht und französischem Cassoulet schlägt. Das Signature-Dish, die Maissuppe mit Hummer und Bergamotten-Aroma, kann sich ebenso sehen lassen wie das dekonstruierte Pesto (mit Parmesan-Würfeln, Basilikumöl, ­Tomatenwasser und Linguine) und das Short Rib, das 72 Stunden lang bei 65 Grad zur Perfektion schmoren durfte und mit gealtertem schwarzem Knoblauch und Weinblattpesto die griechische Note ebenfalls nicht vermissen lässt. 

Kindheitserinnerungen

Auch das »Aleria« gilt seit einiger Zeit als gar nicht mehr so geheimer Tipp für jene, die moderne griechische Küche suchen. Erneut ließe sich von außen nicht erahnen, was einen im Inneren des alten Herrenhauses erwartet. Extravagant eingerichtet, erwartet die Gäste im Erdgeschoß die Bar, dahinter liegt (erneut) ein reizender Innenhof, eine Holztreppe führt zu den Tischen im ersten Stock. Die Küche von Gikas Xenakis ist geprägt von seinen Kindheitserinnerungen auf dem Land, nun will er die Tradition weiterentwickeln, wie er sagt. Dafür wird schon mal der griechische Nudelauflauf Pastitio dekonstruiert oder das Moussaka neu interpretiert. 

Der modernen Interpretation des Griechischen verschrieben hat man sich auch im »Soil«, einem der aufstrebenden Sterne in Athen, gelegen in einem Stadthaus von 1925 mit einem von Zitronenbäumen umgebenen Kieselsteinhof. Das Ziel: kosmopolitisch und zugleich »ehrlich athenisch« zu bleiben.

Erdige Gastronomie

Chef Tasos Mantis hat einen vergleichsweise radikalen Vom-Hof-auf-den-Tisch-Ansatz gewählt und bezieht seine Zutaten von lokalen Produzenten und vor allem aus seinem eigenen Garten, der eine Stunde von Athen entfernt in einem Küstenort bewirtschaftet wird. Die Gäste können die Farm bei einem kulinarischen Ganztagestrip sogar besuchen. Zu den Signature-Dishes zählen der Aalburger mit betont erdigem Nachgeschmack (das »Soil« – zu Deutsch: Boden – bewirbt sich selbst nicht umsonst als »Earthy Gastronomy«) und das hervorragende Ziegenfleisch, die sich beide in den 14-gängigen Degustationsmenüs wiederfinden.

Zu den Athener Avantgardisten zählt freilich auch das »Cookoovaya«, wo sich Küchenchef Periklis Koskinas nichts Geringeres als die Suche nach der »Weisheit« zum Ziel gesetzt hat. Besser könnte man den alten Griechen gar nicht huldigen. Man setzt auf leichte, moderne Küche, auf Regionalität und Saisonalität. Und auf das Motto: »Erinnere dich nicht nur daran, was du gegessen hast, sondern daran, wie du dich gefühlt hast.« Das klingt schon ziemlich weise.

Die (zugegeben: wenigen) Altstars gibt es natürlich auch noch. Etwa das »Spondi«, das sich seit Jahrzehnten als Eliten-Treffpunkt hält und im Jahr 2002 das erste sternegekrönte Restaurant überhaupt in der Stadt war. (Hier aber lebt man die französische Küchentradition, unter anderem mit der besten Foie gras Athens. Wirklich griechisch ist das nicht.) 

Das »Botrini’s«, dessen italienisch-griechischer Chef Ettore (oder Ektoras) Botrini in seiner Heimat gerne mal als Griechenlands Antwort auf Gordon Ramsay (beide verdingen sich als gnadenlose TV-Köche) gilt, passt mit seinen Kreationen da schon eher ins Bild der modernen griechischen Kulinarik. Für eines seiner Vorzeigegerichte, die Carbonara mit Meerestieren, werden die Tagliatelle mit Calamari zubereitet, die Eigelbsauce wird durch Seeigel-Rogen ersetzt.

Freilich kann man auch in Athen nicht nur im Innenhof, sondern mit herrlicher Aussicht speisen. Wenn das Wahrzeichen, die Akropolis, schon auf einem Hügel inmitten der Stadt thront, muss man das schließlich zu nutzen wissen. Einen guten Blick (und ein Geschmackserlebnis) bietet etwa die »Tudor Hall« im obersten Stock des »King George«-Hotels, das innerstädtisch direkt am Syntagma-Platz gelegen ist. 

Nicht nur mit guter Aussicht kann auch das »Hytra« punkten, das im sechsten Stock des Kulturzentrums Onassis beheimatet ist. Den Michelin-Stern des Restaurants erkochte einst Tasos Mantis, der sich mittlerweile mit dem »Soil« verwirklicht. Die Küche des »Hytra« ist von der ­skandinavischen Avantgarde beeinflusst. Im Menü finden sich da schon mal seltene fermentierte Gemüsesorten, Kräuter und Früchte. Eine gute Adresse für Vegetarier.

Ab an die Riviera

Wahrlich als Geheimtipp für Reisende kann derzeit noch das »One&Only Aesthesis« gelten. Das Luxusresort will am Stadtrand Athens neue Maßstäbe setzen: Am Strand von Glyfada, der inoffiziellen Hauptstadt der Athener Riviera, hat das Resort in einem 21 Hektar großen, geschützten Waldreservat (sogar eine eigene Ausgrabungsstätte hat man, bei den Bauarbeiten traten antike Gemäuer zutage) eröffnet. Luxuriöse Bungalows und Villen versprechen den Gästen Abgeschiedenheit, in der Stadt ist man trotzdem rasch.

Das Ziel: An der Stelle, an der schon in den 1950er-Jahren die Reichen und Schönen der griechischen Hauptstadt flanierten, soll ein echtes städtisches Beach-Resort entstehen. Damit auch die Athener selbst (und nicht nur die Touristen) den Weg nach Glyfada antreten, hat man sich kulinarisch einiges einfallen lassen: Im hoteleigenen Restaurant »Ora« trifft man kulinarisch auf einen mittlerweile Altbekannten. Auch hier hat Starkoch Ettore Botrini Hand angelegt. Inspiriert von Familienrezepten und den Reisen seiner Jugend, will man klassische mediterrane Aromen »im modernen Kleid« präsentieren.

Die Austern werden – mit Olive, Paradeisern und Basilikum – kurzerhand griechisch interpretiert. Auch Giouvetsi, den Schmorgericht-Klassiker, gibt es, zur Orzo-Pasta und dem Kalbfleisch gesellen sich aber feinwürziger Gruyère von der Insel Naxos und griechische Trüffel.

Das Vorhaben scheint aufzugehen: So manch wohlhabende Athener Familie trifft sich hier jetzt schon gerne zum gemeinsamen Essen. Erneut abseits des pulsierenden Nachtlebens.

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Tipps & Adressen

Restaurants

Das edle und stilvolle Restaurant auf der Dachterrasse des »King George Hotels« bietet einen der besten direkten Ausblicke auf die Akropolis. Die Speisekarte bietet eine clevere Mischung aus zeitgenössischen Kochtechniken mit mediterranen Einflüssen, ergänzt durch eine große Auswahl an Weinen.
Βασιλέως Γεωργίου Πρώτου 3
105 64 Athen
Griechenland
96
Ein konzeptionelles Erlebnis mit einem nachhaltigen Ansatz, bei dem edle Degustationsmenüs mit raffinierten Gerichten und delikaten Aromen im Vordergrund stehen. Beeindruckende Aussicht, modernes Design und ausgezeichnete Cocktails ergänzen das High-End-Konzept.
Λεωφόρος Συγγρού 364
17674 Kallithea
Griechenland
Moderne Küche, die hauptsächlich auf griechischen Produkten basiert und hohen Wert auf Qualität, Umweltbewusstsein und Nachhaltigkeit legt. Die Spezialität von Chefkoch und Inhaber Dimos Sanourakis sind saisonale Degustationsmenüs, in denen seine Erfahrung und seine außergewöhnliche Ästhetik zum Ausdruck kommen.
Διοχάρους 27
161 21 Athen
Griechenland
In einem wunderschönen, denkmalgeschützten Gebäude aus dem Jahr 1939 bietet Küchenchef Ettore Botrini kreative und gut zubereitete Gerichte, bei denen seine italienisch-korfiotischen Wurzeln in erzählerischen Menüs mit kulinarischen Anspielungen kombiniert werden. Umfangreiche Weinkarte.
Βασιλέως Γεωργίου Δευτέρου 24
152 37 Athen
Griechenland
Französisch geprägte Küche mit modernem Touch in einem eleganten Restaurant, das als gastronomisches Wahrzeichen der griechischen Hauptstadt gilt. Küchenchef Arnaud Bignon präsentiert hier seine Philosophie in zwei exquisiten Menüs.
5 Pyrronos, Pagrati
116 36 Athen
Griechenland
Verspielte Interpretationen der griechischen und mediterranen Küche in einem stilvollen, dabei aber gemütlichen Ambiente. Küchenchef Alex Tsiotinis präsentiert seine urbane gastronomische Perspektive in Degustationsmenüs, die sich durch ihre intensiven Aromen und kreativen Wurzeln auszeichnen.
Αχιλλέως 15
104 37 Athen
Griechenland
Dieses elegante Restaurant befindet sich im 6. (im Sommer im 7.) Stock des Onassis-Kulturzentrums und bietet ausdrucksstarke, zeitgenössische Küche mit griechischer Basis. Es wird sowohl à la carte als auch in Form von Degustationsmenüs serviert, von denen eines vegetarisch ist. Spannende Weinbegleitung und interessante Cocktails.
Onassis Cultural Center, Syngrou Avenue 107-109
11745 Athen
Griechenland
93
Mit einer persönlichen Herangehensweise an die Nachhaltigkeit gehobener Küche kreiert Küchenchef und Eigentümer Tassos Mantis ein raffiniertes Menü mit Zutaten aus seinem Garten in Alepochori, womit Saisonalität hier den Ton angibt. Botanische Cocktails ergänzen das Konzept.
Αράτου 5
116 35 Athen
Griechenland
Schönes und originelles Restaurant in einem nicht so schönen Viertel. Der Besuch lohnt sich dennoch, denn die Küche zählt zu den spannendsten der Stadt. Schöner Innenhof.

(Aus dem Falstaff Magazin 03/2018)

Megalou Alexandrou 57
10435 Athen
Griechenland
Eine wahre Ikone an der Athener Riviera: das »Four Seasons«.
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Eine wahre Ikone an der Athener Riviera: das »Four Seasons«.

Hotels

One&Only Aesthesis
Direkt am Strand von Glyfada hat das neue Resort der Luxuskette eröffnet. Der Strandabschnitt gilt als »Venice Beach von Athen«. Die Bungalows mit Privatpool und Zimmerservice der Sonderklasse lassen keine Wünsche übrig. Kulinarik von Ettore Botrini im Restaurant »Ora«.

Leof. Poseidonos 110, 166 74 Glyfada
T: +30 21 66861000, oneandonlyresorts.com

Four Seasons Astir Palace
Eine Ikone an der athenischen Riviera, die schon Stars wie Jackie Onassis und Brigitte Bardot beherbergte. Elegante Zimmer mit Ausblick auf das Meer, acht Restaurants. 30 Autominuten vom Zentrum entfernt. 

Apollonos Street 40, 166 71 Athen
T: +30 210 8901000, fourseasons.com/athens

Hotel Grande Bretagne
Das Traditionshaus feiert 150-jähriges Jubiläum. Es liegt gegenüber dem Syntagma-Platz, von manchen Zimmern aus kann man die rituelle Wachablöse der Präsidialgarde vor dem Parlament beobachten.

Vasileos Georgiou A’ 1, 105 64 Athen
T: +30 210 3330000, marriott.com

Gatsby Athens
Nobles Boutiquehotel mit 33 Zimmern im Zentrum der Stadt, inspiriert vom Art déco und eingerichtet mit Werken griechischer und internationaler Künstler. 

Lekka 18, 105 62 Athen
T: +30 210 3216001, gatsbyathens.com

King George
Opulenter Luxus seit 1930. Das Hotel verfügt über 102 Zimmer und Suiten, eine Penthouse-Suite mit privatem Außenpool und einen tollen  Blick auf die Wahrzeichen der Stadt. Beherbergt mit dem »Tudor Hall« eine der kulinarischen Topadressen der Stadt.

Vas. Georgiou A’ 3, 105 64 Athen
T: +30 210 3222210, marriott.com


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Erschienen in
Falstaff Nr. 03/2024

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Christoph Schwarz
Christoph Schwarz
Chefredakteur
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