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Delikates Superhirn: Darf man Tintenfische noch essen?

Tintenfische gelten als Intelligenzbestien unter den Meeresbewohnern – gerade das macht ihren Fang aus ethischen Gesichtspunkten so diskussionswürdig. Bald schon sollen sie gewerblich gezüchtet werden. Doch kann Aquakultur unser ­Kraken-Dilemma wirklich lösen?

Tintenfische gehören zu jenen Nahrungsmitteln, die im Urlaub über eine Geschmacksintensität verfügen, von der man zu Hause nur träumen kann. Das musste ich erst kürzlich wieder, zurückgekehrt ins kalte Glühbirnenlicht meiner heimischen vier Wände, schmerzlich feststellen.

Überhaupt fiel mir, als ich so über die unterschiedlichen Zubereitungsweisen von Calamares sinnierte, auf, dass die Tentakel­träger komplexere Zeitgenossen sind, als gemeinhin bekannt ist: Es geht schon damit los, dass sie uns auf Speisekarten griechischer Restaurants und in mediterranen Kochbüchern zu Recht als Delika­tesse angepriesen werden, in der Literatur und im Film dagegen nicht selten zu menschenfressenden Ungeheuern stilisiert werden, die ihre Beute mit ihren glitschigen Fangarmen in die Tiefe ziehen – so wie in Jules Vernes »20.000 Meilen unter dem Meer«, wo man das wohl bekannteste Beispiel eines solchen Monsterkraken findet.

Was den französischen Schriftsteller zu dieser Darstellung veranlasst haben mag und wie sehr möglicherweise ein ähnlicher Post-Urlaubs-Blues wie bei mir mit hineinspielte, ist leider nicht überliefert. Fest steht jedoch, dass, wenn überhaupt, nur etwas Einziges bestialisch an Tintenfischen ist: ihre Intelligenz.

Hirn im Ganzen Körper

Verglichen mit anderen Wirbellosen sind sie nämlich wahre Genies und ­verfügen über einen ähnlich hohen IQ wie Hunde, Katzen, Vögel und sogar niedere Primaten, was Kraken zu beeindruckenden Leistungen befähigt: Sie können beispiels­weise zählen, ­Behältnisse aufschrauben, Werkzeuge nutzen und sogar einzelne Menschen voneinander unterscheiden.

Der eigentlich interessante Aspekt ist jedoch nicht, wie schlau Tintenfische sind, sondern inwiefern: Grob gesagt besitzt ein Krake dieselbe Anzahl ­zusätzlicher Gehirne wie er über Tentakeln verfügt. Wie das? Nun ja, während sich das Gehirnvolumen von uns Menschen im Laufe von Hunderttausenden Jahren etwa um das Dreifache im Vergleich zu unseren fossilen Vorfahren vergrößerte, verteilte sich der Denkapparat beim Kraken über seinen gesamten Körper, sodass bei dem außergewöhnlichen Weichtier heute 60 Prozent seiner Nervenzellen dezentral in seinen Tentakeln liegen. Ein Oktopus kommt somit auf insgesamt neun Hirne. Jedes davon in der Lage, auf der Suche nach Nahrung eigenständig zu agieren. Das ist auch der Grund, weshalb die Bewegungen des Tiers oftmals so unkoordiniert auf uns wirken.

Auch wenn das Bild manchen schockiert – Tintenfische an einer Leine aufzuhängen ist etwa in Griechenland völlig normal. Die Meerestiere sollen an der Sonne trocknen, wodurch ihr Fleisch weicher wird.
@ Richard Corbett
Auch wenn das Bild manchen schockiert – Tintenfische an einer Leine aufzuhängen ist etwa in Griechenland völlig normal. Die Meerestiere sollen an der Sonne trocknen, wodurch ihr Fleisch weicher wird.

Die Eigenständigkeit der Fangarme geht sogar so weit, dass sie auch noch auf Reize reagieren können, nachdem sie vom Rest des Körpers abgetrennt wurden. Womit wir wieder beim Verzehr von Tintenfisch wären.

Qualvolle Fangmethode

Dass ihr Schädel nicht das zentrale Steuer­element ist, ist nämlich die Krux beim Fang von Oktopussen und macht ihr schnelles und schmerzloses Betäuben mit einem Schlag auf den Kopf wie beim Fisch quasi unmöglich. Die schonendste Art, einen Tintenfisch zu exekutieren, ist, ihn extremer Kälte auszusetzen. Denn genau wie andere Weichtiere verfügt er über keine körpereigene Temperaturregelung, sodass er bei Extremtemperaturen schnell das ­Bewusstsein verliert.

Gerade in der Kleinfischerei ist es jedoch noch immer gang und gäbe, dass die Tiere getötet werden, indem man ihren Mantelsack endlose Male mit voller Wucht auf eine feste Oberfläche schlägt oder ­brutal nach außen stülpt. Beide Methoden schenken sich nichts an Grausamkeit. Das gilt übrigens auch für die Art und Weise, wie Tintenfische gefangen werden. Ein nicht unwesentlicher Teil ihrer Population wird noch immer mit Grundschleppnetzen ­gejagt, was per se zu verurteilen ist, weil der Einsatz dieser riesigen, ­tonnenschweren Fangwerkzeuge große Schäden in den ­Unterwasserlebensräumen verursacht.

Eine wahre Delika­tesse, am besten schmecken Tintenfische aber doch einfach im Urlaub.
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Eine wahre Delika­tesse, am besten schmecken Tintenfische aber doch einfach im Urlaub.

Schonender für die Vegetation und für die Bewohner des Meeresbodens – und dem ersten Augenschein nach auch für den Tintenfisch – sind Reusen oder mit einem Stein beschwerte Tonkrüge, allerdings nur bis zu dem Moment, in dem die Fischer versuchen, ihren Fang dort wieder herauszubekommen. Damit der Krake seine Falle loslässt, verätzen Fischer das Tier nicht selten mit Bleichmittel. Wenn Sie ähnlich empfindsam sind wie ich, dürfte Ihnen spätestens jetzt der Appetit auf Oktopus mächtig vergangen sein. Was also tun?

Wäre Aquakultur, das heißt das gezielte Züchten von Tintenfisch, eine Lösung, um den menschlichen Bedarf nach den Tieren zu decken? Fische, Muscheln und Shrimps kommen inzwischen ja längst zu einem großen Teil aus Zuchtbetrieben. Spaniens größter Fischereikonzern, Nueva ­Pescanova, will dieses Verfahren auch für Oktopoden anwenden.

Welterste Oktopus-Farm


Bereits vor einiger Zeit ist es dem Unternehmen gelungen, Oktopusse in Gefangenschaft zu vermehren. Bis jetzt war das nahezu unmöglich, die Zucht der Tiere galt als extrem schwierig – schon allein deshalb, weil Tintenfisch-Larven nur lebende Nahrung fressen und ausgewachsene Exemplare von Natur aus Einzelkämpfer sind.

In einem mehrstöckigen Gebäude im Hafen von Gran Canaria plant Nueva ­Pescanova, die Tintenfische ähnlich wie Fabrikhühner in übereinandergestapelten Käfigen dicht an dicht kommerziell zu züchten. 3000 Tonnen eiweißreiches Fleisch will die Firma auf diese Weise erzeugen. Kein Wunder, dass Tierschutzverbände weltweit gegen diese Pläne Sturm laufen. Im Gegenzug zu anderen Meerestieren, die in Aquakulturen aufgezogen werden, sind sich die intelligenten Oktopusse in ihren Wassertanks über ihre ausweglose Lage nämlich im Klaren. Experten befürchten zudem, die Kraken würden sich aufgrund ihrer territorialen Lebensweise in Gefangenschaft gegenseitig auffressen oder mindestens schwer verletzen. All das wiegt schwerer als das Argument der Befürworter, die Farm auf den Kanaren werde dazu beitragen, dass weniger wild lebende ­Oktopusse gefangen werden.

Vielleicht wäre es ein erster Schritt zur Besserung, den Verzehr von Tintenfisch einfach auf die Zeit im Jahr zu beschränken, in der er am besten schmeckt: im Urlaub.

Lebensmittelkonsum und Moral

Deutschland-Chefredakteur Sebastian Späth schreibt ab sofort regelmäßig über umstrittene Delikatessen und unethisch gewonnene Lebensmittel, ihren Ursprung und Alternativen – ohne erhobenen Mahnfinger, dafür mit überraschenden Hintergründen und Perspektiven.

 


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Sebastian Späth
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